Der gute Glaube
Vom guten Glauben (Redlichkeit) spricht man, wenn der Rechtsbesitzer glauben kann, dass ihm die Ausübung eines Rechtes zusteht, ohne eine Bewilligung oder Zustimmung einer bestimmten Person einholen zu müssen. Der Ersitzungswerber muss dabei seine Gutgläubigkeit nicht beweisen, vielmehr wird diese im Zweifel für ihn vermutet. Der gute Glaube fällt weg, wenn der Rechtsbesitzer Kenntnis von Umständen erlangt, die ihn an seinem rechtmäßigen Besitz zweifeln lassen. Bei der Beurteilung dieser Umstände wird darauf abgestellt, ob ein durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer diese Rechtsverletzung erkennen hätte können. Auf diese Erkennbarkeit kommt es bei der Art und Weise der Beschilderung an!
Beispiel 1
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in seiner Entscheidung vom 30. August 2016 (4 Ob 49/16h) ausgesprochen, dass das Anbringen eines Fahrverbotsschildes in dessen Mitte "Privatweg" steht, die Ersitzung eines Wegerechtes durch die Gemeindebürger nicht verhindert. Das Fahrverbotsschild mit der genannten Aufschrift stehe der Annahme eines Wegerechtes nicht entgegen.
Beispiel 2
In einer anderen Entscheidung vom 28. Oktober 2015 (9 Ob 57/15w) entschied der OGH, dass ein Schild mit der Aufschrift "Auf Widerruf freiwillig gestatteter Durchgang" eine Ersitzung jedenfalls ausschließe. Im Anlassfall wurde ein Gässchen seit 1960 von den Eigentümern eines Hotels begangen, um den Seiteneingang ihres Hotels zu erreichen. 1962 brachte der Eigentümer des Gässchens die besagten Hinweisschilder am Beginn und am Ende des Gässchens an. Bis 2013 wurde das Gässchen von den Hoteleigentümern und deren Gästen genutzt – ab diesem Zeitpunkt wurde der Zugang vom Eigentümer versperrt.
Die Eigentümer des Hotels behaupteten daraufhin eine Ersitzung, wonach sie das Gehrecht seit 1960 ausgeübt und die Schilder nur für nichtberechtigte Personen Gültigkeit gehabt hätten. Der OGH führte dazu aus, dass durch die Schilder wohl eine Nutzungsbefugnis ermöglicht wurde – nicht jedoch die Begründung eines Rechtes. Durch die Schilder mussten den Eigentümern des Hotels – aus Sicht eines durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers – Zweifel aufkommen, was die Rechtmäßigkeit ihrer Rechtsausübung anbelangte. Diese Zweifel hätten daher zum Wegfall des guten Glaubens geführt; die Ersitzungszeit sei seit 1962 unterbrochen worden und eine Ersitzung des Wegerechtes daher nicht eingetreten.